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Cult of autogrill - Ahead of time
Raststätten an und über Autobahnen in Italien

Autobahnrastplätze nordeuropäischen Formats bestehen oft aus einer Ansammlung an Beton- oder Holzbänken und Tischen nebst Abfallbehältern und Toilettenstation, gut verteilt über eine grüne Fläche entlang des Parkstreifens. In Italien wurde diese Art der minimalistischen Selbstversorgeranlagen jedoch so gut wie nie realisiert. Vielmehr war und ist hier das Anliegen, den neuen Automobilisten der aufstrebenden Nachkriegszeit am Rande des modernen und kostenpflichtigen Asphaltbandes möglichst gut zu umsorgen. Das Einnehmen eines Espressos ist in Italien während wie auch immer gearteten Pausen eine nicht wegzudenkende Pflichtübung und wird dementrsprechend zelebriert. Sei es am Bahnhof, am Fährschiff, im Abflugterminal oder eben an der Autobahnraststätte.

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Die "Pavesini" Bisquits mit ihrer typischen Formgebung.

Die erste Autobahnraststätte in Italien entstand 1947 zunächst jedoch als Kiosk an der Autobahn Mailand-Turin, in welchem der Konditormeister und Kekshersteller Mario Pavesi Verpflegung und zunächst eher nebenbei seine "Pavesini"Kekse zum Verkauf anbot. Der Kiosk war somit der erste ausschließlich für die Verpflegung von Automobilisten erstelle "Raststation" an einer italienischen Autobahne. Der Erfolg stellte sich albald ein, denn bereits 1952 ersetzte ein imposanteres Bar-Ristorante den ursprünglichen Kiosk.

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1952: Die erste Pavesini Raststation im italienischen Autobahnnetz bei Novara. Der hohe Bogen ohne strukturelle Funktion kündigte dem Automobilisten seine Raststääte aus der Ferne an. Die Form der Bisquits findet sich im Firmenlogo wieder.

Das erste nach dem Produktnamen der Kekse getaufte "Pavesini" kann eine gewisse Inspiration an US-amerikanische strassenbegleitende Bauten der damaligen Zeit nicht ganz leugnen: Ein grosser Bogen wacht hier nicht baulich funktional über der reinförmigen Glaskubatur, sondern möchte vielmehr die Aufmerksamkeit der Automobilisten auf sich lenken. Möglicherweise ist dies die erste Architektur an einer europäischen Autobahnen, bei der überdimensionniert wirkdende Elemente einzig diese anfürsich banale Reklamefunktion zugewiesen wurde. Dies war jedenfalls der erste Bau des Architekten Angelo Bianchetti für die italienische Autobahnverpflegung. Ein kleiner Anfang, denn in den folgenden zwei Jahrzehnten sollte Bianchetti mit einer Reihe an avantgardistischen Entwürfen der "Reiseverpflegung" ein völlig neues Gesicht verleihen.

Zum historischen Zeitrahmen: 1957 drehte der erste Sputnik seine Kreise um die Erde, zur gleichen Zeit rollte der neue Fiat 500 vom Band und machte Fernreisen über Autobahnen zum Sehnsuchtsmodell für die ersten nach dem krieg aufstrebenden Wohlstandsklassen. Die Speerspitzen technologischer und gesellschaftlicher Modernitäten wiederspiegelten sich nicht zuletzt auch in der Architektur der Symbolik, und so wurden die Linien der "Aufmerksamkeitserreger" entlang der Autobahnen entsprechend immer kühner geschwungen:

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1958: Wie unter Satellitenbahnen schwebt scheinbar das Bar-Ristorante (Lainate, Milano-Sesto Calende).
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1959: aus Geschwungem werden Kanten: Variation des Entwurfs von 1958 bei (Ronco Scrivia, Milano-Genova)

1962 wurde die eingangs erwähnte Rasttätte bei Novara (Mailand -Turin) durch das erste zeitlos moderne Brückenrestaurant ersetzt. Über beide Fahrbahnen gespannt, ist es nicht nur für Durchreisenden unmöglich unbeachtet passiert zu werden, sondern für diesen auch von beiden Fahrtrichtungen gleichermaßen bequem zugänglich. Einzelne Grundmodelle wurden auf verschiedenen Autobahnen nahezu identisch oder abgewandelt replliziert.

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Mitte sechziger Jahre: Das ursprüngliche Brückenrestaurant bei Novara wurde repliziert, hier z.B. über der Autobahn Mailand - Brescia

Symbol der Prosperität und des massiven Aufbruchs in das Zeitalter der Wohlstandsmobilität, wurde hiermit ein in Europa einzigartiges Wettrennen um die prominenteste Raststätten-Architekturen eingeleitet. Somit war es nur folgerichtig, dass es sich in den Jahren des italienischen Wirtschaftswunders die drei großen traditionsreichen Lebensmittelfirmen "Motta", "Pavesi" und "Alemagna" nicht nehmen liessen, möglichst markante und extravagante Raststätten für ihre Präsenzen im Verkehrsnetz zu entwerfen. Obwohl mehrere Unternehmen die Autobahnen ausschmückten, war Pavesi als bekanntester jener, der mit "Pavesini" den Umgangssprachlichen Namen für Autobahnraststätte prägt. "Andiamo a prendere un Caffè al prossimo Pavesini?"

In den 1970er Jahren mögen der überbordende und sich banalisierender Massenindividualverkehr einerseits, und die Energie- und Wirtschaftskrise anderseits den Wendepunkt der eleganten Autogrillkultur markiert haben. Insgesamt 12 Brückenrestaurants entstanden bis 1972.

 

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1960er Jahre: Im Fiat 1500 Spider mit der Familie zum Autogrill bei Novara. Freudige Blumenbeete und gemähter Rasen umsäumen den Parkplatz.

1977 wurden die Raststättenzweige der drei Unternehmen fusioniert und unter die Obhut des staatlichen Wiederaufbaukonzerns IRI gestellt.  Hier entstand auch die heute bekannte Namensgebung „Autogrill“. "Autogrill" ist im italienischen Sprachgebrauch Synonym für Autobahnraststätte geworden, obwohl es sich genaugenommen lediglich um (den größten) Betreiber ebendieser Raststätten handelt. Eine neutrale Bezeichnung (zB. "Area di ristoro") ist auch heute wenig gebräuchlich.

1994 wurde die Autogrill S.P.A privatisiert, sie gehörte sodann dem Familienunternehmen Benetton, die es 1997 an die Börse brachte. Damit nahm eine fulminante Expansion in alle Richtungen (Aqusitionen, Diversifizierung, ...) seinen Lauf, was der Ursprunglichkeit der "Pavesini" Autobahnrestaration möglicherweise nicht unbedingt zuträglich war. Das heutige Management kontrolliert 350 Marken, von Star Bucks über Pizza Hut bis Burger King (1). Die einstige Kultmarke Autogrill wurde den Gegebenheiten der Zeit angepasst und gleichgeschaltet.  Das feine sublime des sozialisierten wie elitären Luxus verschwand, gleichwohl bleiben nach wie vor die markanten Fassaden erhalten.

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Autogrill Pavesi
Anfangs nach den Bisquits "Pavesini" genannt, wechselte der Namen später in "Pavesi", zu dem sich bald der Luxus des Grillens gesellte: "Autogrill Pavesi".

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Motta grill
Die durch Angelo Motta gegründete Firma Mottagrill gesellte sich in den 1960er Boomjahren des Autobahnbaus nebst Pavesi und Alemagna an die Autobahnen. Obwohl Motta wie auch die beiden Konkurrenten anfänglich im Konditoreiwesen tätig war, entstanden fortab noble Orte gehobener Gastronomie. Ein Wettlauf um die besten Raststättenbauten und noblesten Gäste nahm seinen Lauf.
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Die optimistisch, progressiv wie auch elegant sich darbietenden Restaurants galten als Paläste der Moderne für den neuen Bürger. Sie sind Symbole des sich anbahnenden Wirtschaftswunders, das die harte Dekade des Wiederaufbaus  nach dem Krieg endgültig hinter sich lässt.  Im 1961 eröffneten Brückenrestaurant Cantagallo sorgten Haubenköche für das Wohl der Reisenden. Frank Sinatra, Gregory Peck, Brigitte Bardot und der damalige Schah von Persien Reza Pahlhavi (1961) zählten zu den illustren Gästen.

Im Brückenristorante konnten 200 Gäste Platz nehmen, und auch dem Gründer verpflichtend eine Konditorei (Pasticceria), einen Blumenhändler (Fioraio),  eine Post- und Bankfiliale, ein Souvenirgeschäft, ein Tourismusbüro sowie  einen Frisör (Parrucchiere) in Anspruch nehmen bevor die Reise friusch und gut gestärkt über die neuen Asphaltbänder weiter gehen sollte.


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Bauli Grill
Ein weiterer Konditor Namens Bauli, Hersteller des Panettones, des "Pandoro Bauli" den wohl jeder italienischer Bürger mehrfach im Leben zu Weihnachten verzehrt hat, schloss sich Anfang der 1960er Jahre dem Trend des Autobahngrills an.

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1: Guest - 15.6 years ago Aug 3, 2009, 8:44:21 AM
hallo,
ich bin begeistert,so eine seite habe ich lange gesucht.sehr schön die detail-
arbeit,complimenti!!
(c)

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